Deutsch perfekt Plus 12/2021: Hörverstehen

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    Interview

    Mann: Heute darf ich einen speziellen Gast begrüßen, Sofia Ursel aus Stuttgart! Sofia ist 22 Jahre alt und studiert Architektur. Und in ihrem Kopf passieren Dinge, die nicht in allen Köpfen passieren. Sofia ist Synästhetin, und sie hat ein tolles Buch über ihre Jugend mit Synästhesie geschrieben. Herzlich willkommen zu unserem Talk um Drei, Sofia!
    Frau: Hallo! Ich freue mich sehr, hier zu sein!
    Mann: Wann hast du gemerkt, dass du Dinge anders siehst und fühlst als die meisten anderen Menschen?
    Frau: Bei mir war das schon sehr früh. Viele Synästheten merken erst spät, dass sie Dinge anders wahrnehmen. Aber ich hatte ein Erlebnis im Kindergarten: Ich war vier Jahre alt, und ich habe der Kindergärtnerin erzählt, dass heute der grüne, runde Tag ist: Dienstag. Und sie hat gelacht. Aber dann habe ich sie gefragt, ob der Dienstag für sie auch grün und rund ist. Darauf konnte sie nicht genau antworten. Und dann habe ich ihr von allen Tagen erzählt: dass der Freitag rot ist, und der Samstag gelb. Als mich an diesem Tag meine Mutter vom Kindergarten abgeholt hat, hat die Kindergärtnerin ihr von unserem Gespräch erzählt. Und meine Mutter hat gewusst: Ihre Tochter ist Synästhetin. Und meine Mutter hat mit mir darüber gesprochen.
    Mann: Das ist wirklich interessant. Wie hast du dich denn nach dem Gespräch mit deiner Mutter gefühlt?
    Frau: Tja, gut. Also eigentlich auch nicht anders als vorher, haha. Aber es war ganz gut für mich zu verstehen, dass nicht alle Menschen die Dinge so sehen und fühlen wie ich. Das hat mir dann in der Schule geholfen.
    Mann: Synästhetin zu sein, ist das denn nun schön oder ist das schrecklich?
    Frau: Ich kann mir mein Leben anders eigentlich nicht mehr vorstellen. Mein Leben hat viele Farben und Impulse, und ich rieche Dinge sehr intensiv. Das ist wunderbar. Aber ich bin auch extrem sensibel. Wenn zum Beispiel ein lautes Motorrad schnell an mir vorbeifährt, dann sehe ich Dunkelblau, und mein ganzes Gesicht tut weh von dem Lärm des Motors. Das ist nicht schön. Deshalb lebe ich in einem sehr ruhigen Teil von Stuttgart. Und ich lebe allein.
    Mann: Du musst also aufpassen, dass es um dich herum nicht so laut oder zu stressig ist?
    Frau: Genau. Aber wenn ich das tue, dann ist mein Leben wirklich sehr schön. Wenn ich zum Beispiel deine Stimme höre, dann sehe ich Gelb und Orange und Blau. Ist das nicht toll?