Fußball-Deutsch

    Mittel
    Deutsch perfekt 14/2022
    Fußballspieler
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    Von Eva Pfeiffer

    Über die aktuelle die Fußballweltmeisterschaft, -enTreffen von vielen Fußballnationalmannschaften, die um den ersten Platz auf der Welt spielenFußballweltmeisterschaft gibt es viel zu sagen und zu schreiben – von der Kritik daran, dass sie in Katar stattfindet, bis zur Euphorie oder die VerzweiflungZustand, in dem man keine Hoffnung mehr hatVerzweiflung über die Spiele. Oft sprechen die Deutschen jedochaberjedoch über Fußball, ohne es zu merken.  

    Viele der Ausdruck, -drückehier: WortAusdrücke aus dem Ballsport sind nämlich schon lange Teil der deutschen Alltagssprache. Als Metaphern benutzen die Menschen sie in komplett anderen Kontexten. Wenn zum Beispiel eine Jugendliche nachts zu spät nach Hause kommt, dann kriegt sie von ihren Eltern wahrscheinlich einen der Anpfiff, -eBeginn eines Spiels, der durch einen kurzen, hohen Laut markiert wird; hier: ÄrgerAnpfiff. An den Beginn eines Fußballspiels denkt dabei sicher niemand.

    Auch der Ratschlag Halt besser den Ball flachhier: niedrigflach! kommt aus dem Sport. Den Ball flach zu halten, beschreibt dort eine kontrollierte Art des Spielens. In der Alltagssprache ist die Bedeutung ähnlich – nämlich nichts zu riskieren.

    Ausdrücke aus dem Fußball-Deutsch sind Teil der Alltagssprache geworden.

    Warum ist Fußball-Deutsch so präsenthier: überall zu findenpräsent? sich beschäftigen mithier: zum Thema haben; untersuchenMit dieser Frage sich beschäftigen mithier: zum Thema haben; untersuchenbeschäftigt sich Simon Meier-Vieracker. Der 42-Jährige ist Professor für angewandthier: so, dass man die Ergebnisse in der Praxis benutzen kannAngewandte Linguistik an der Technischen Universität Dresden. Eigentlich ist er mehr Radsport- als Fußballfan. Aber für den Linguisten ist der Fußball wie eine die Schatztruhe, -n≈ großer Kasten mit Schätzen darin oder für Schätze (der Schatz, Schätze: Menge von Gegenständen mit hohem Preis, z. B. Gold und Silber; Schmuck; hier: Menge von besonders interessantem Wissen)Schatztruhe. Über seine der Fund, -eetwas, was man gefunden hatFunde berichtet Meier-Vieracker auf seinem Blog fussball­linguistik.de. Er erklärt: „Fußball ist in Deutschland der populärste Sport überhaupthier: von allenüberhaupt. Die Spiele sind nicht nur in den Medien ein großes Thema. Die Leute sprechen auch bei der Arbeit in der Kaffeepause darüber oder unterwegs im Zug. So sind viele die Redewendung, -enein paar Wörter mit idiomatischer BedeutungRedewendungen und Ausdrücke aus dem Fußball-Deutsch Teil der Alltagssprache geworden.“

    Dabei gibt es eine gute Nachricht für alle, die kein Interesse an dem Ballsport haben: die fachlichen Details (Pl.)hier: spezielle Kenntnisse in einem Fach/SektorDie fachlichen Details der Originalausdrücke sind in der Alltagssprache kaum relevant, wie Meier-Vieracker erklärt. Man muss also keine Fußballexpertin sein, um sie richtig zu verwenden. Ein Beispiel ist die das Abseitsillegale Ballaktion: Die Regel dazu soll helfen, dass kein Spieler vor dem Tor steht und dort auf den Ball wartet, um zu schießen.Abseits-Metapher. Die kann man prima benutzen, ohne die genauen Abseits-Regeln aus dem Fußball zu kennen. Die Metapher bedeutet, dass eine Person ignoriert wird: Der kleine Jan steht im Kindergarten im Abseits. Kein anderes Kind will mit ihm spielen.

    Im Parlament sind seit den 80er-Jahren bei Debatten öfter Fußball-Metaphern zu hören.

    Ein anderes Beispiel ist das Grätschen. Bei der Aktion abnehmenhier: ≈ wegnehmennimmt ein Fußballspieler dem der Gegner, -hier: Spieler aus der anderen MannschaftGegner den Ball abnehmenhier: ≈ wegnehmenab. In der Alltagssprache bedeutet der Ausdruck, dass man eine Person beim Reden unterbrechenhier: nicht weitersprechen lassen; stoppen, um etwas zu sagenunterbricht und sich einmischenhier: aktiv werden/teilnehmen, ohne dass man gefragt wurdesich ungebeten in etwas sich einmischenhier: aktiv werden/teilnehmen, ohne dass man gefragt wurdeeinmischt: Es ärgert mich, dass Stephanie immer wieder in unsere Gespräche reingrätscht.

    In manchen der Bereich, -ehier: Teil einer Sprache / des LebensBereichen und Situationen sind Ausdrücke aus dem Fußball besonders populär. Meier-Vieracker untersucht mit computerlinguistischen Methoden große Textsammlungen. Er hat festgestellt, dass im Parlament seit den 80er-Jahren bei Debatten öfter Fußball-Metaphern zu hören sind.

    „Mithilfe der Metaphern sollen Menschen abstrakte Inhalte besser verstehen. Die Ausdrücke haben außerdem einen emotionalen Effekt“, erklärt Meier-Vieracker. So zeigt der Westen mit seinen Sanktionen Putin die rote Karte. Und Politikerinnen der Oppositionsparteien sagen gern, dass der Ball bei der Regierungskoalition liegt. Damit meinen sie: Jetzt muss die Regierung endlich etwas tun.

    Auch der Wirtschaft gibt Fußball sprachliche Inspiration. Da wollen zum Beispiel ambitionierte Firmen in der Champions League spielen und gut aufgestellt seineine Mannschaft haben, die mit Erfolg zusammenspieltsind deshalb personell gut aufgestellt seineine Mannschaft haben, die mit Erfolg zusammenspieltgut aufgestellt. Und Jobsuchende am Ball bleiben müssen≈ nicht aufhören dürfenmüssen am Ball bleiben.

    Es können auch ganze Sätze aus dem Sport in neuen Kontexten verwendet werden. Ein populäres Beispiel ist ein Zitat von Sepp Herberger, einem legendären Trainer: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ Das Mantra, sich nach einem Erfolg gleich auf die nächste Aufgabe vorzubereiten, passt in vielen Situationen. Zum Beispiel in der Politik, denn: Nach der die Wahl, -envon: wählenWahl ist vor der Wahl.

    Es gibt im Fußball viele Wörter aus dem Militärbereich.

    Aber Fußball-Deutsch hat auch nicht nur einen Effekt auf die Alltagssprache. Die Inspiration funktioniert in beide Richtungen: Auch die Fußballsprache verwendet nämlich Ausdrücke aus Kontexten, die eigentlich nichts zu tun haben mit≈ von einem anderen Thema kommennichts mit dem Sport nichts zu tun haben mit≈ von einem anderen Thema kommenzu tun haben.

    „Es gibt im Fußball viele Wörter aus dem Militärbereich“, sagt Meier-Vieracker. „der Sturmhier: militärische Attacke; hier auch: Gruppe einer Mannschaft, die Attacken auf das Tor der anderen Mannschaft machtSturm, die AbwehrAktion, mit der man sich gegen fremde Attacken schützt; hier: Gruppe einer Mannschaft, die bei einer Attacke der anderen Mannschaft das eigene Tor schütztAbwehr, die Offensiveaktive Art zu kämpfen mit vielen Militärattacken; hier: Art zu spielen, bei der man möglichst viele Attacken auf das Tor machtOffensive – besonders früher war die Sprache ziemlich martialisch≈ aggressiv; so, dass man Lust hat, zu kämpfenmartialisch. Zum Beispiel 1954 beim das Halbfinale, -/-finalsAbschnitt bei einem Sportereignis, in dem die letzten vier Mannschaften um das Weiterkommen kämpfenHalbfinale der Weltmeisterschaft in der Schweiz, bei dem Deutschland 6:1 gegen Österreich gewonnen hat. Da sprachen deutsche Kommentatoren davon, den Gegner mit das schwere Geschützgroßes, schweres militärisches Gerät zum Schießen; hier: ≈ intensiv; mit viel Energieschwerem Geschütz niederzuschießen≈ auf eine Person schießen und sie so schwer verletzen oder totmachenniederzuschießen. Heute verwenden die meisten Journalistinnen Ausdrücke wie diese nicht mehr.“

    So wie die Welt heute eine andere ist als 1954, ist es auch die Sprache. Meier-Vieracker beschäftigt sich intensiv mit Livetickern, Livekommentaren und Spielberichten. Dort ist die Sprache mehr kulinarisch als martialisch, zum Beispiel wenn ein Spieler mit einer Aktion ein das Sahnehäubchen, -kleine Menge Sahne, z. B. auf Kaffee; hier: ugs.: besonders großer ErfolgSahnehäubchen aufsetzensetzen auf; geben aufaufsetzt, den Ball ins Tor zuckernhier: Zucker geben auf (und damit noch besser machen)zuckert oder buttercremenugs.: hier: eine Creme aus Butter, Zucker und Milch geben auf (und damit noch besser machen)buttercremt.

    Manche Journalistinnen und Kommentatoren sind mit ihren Formulierungen kreativ und lustig, andere weniger. Und so funktionieren weder in der Alltagssprache noch in der Fußballsprache alle Metaphern und Ausdrücke perfekt. Sprachlernende können das als Motivation sehen, Fußball-Deutsch im Alltag einfach einmal auszuprobieren. Mit diesem Text sind sie dafür gut aufgestellt.

     

    Fußball-Deutsch - ganz unsportlich

    in der Champions League spielen = besonders großen Erfolg haben; besonders gut sein
    Diese Universität spielt in der Champions League.

    die rote Karte zeigen = mit einer Strafe zeigen, dass etwas so nicht weitergehen kann
    Wir müssen Rassismus die rote Karte zeigen.

    den Ball flach halten = kontrolliert und ohne Risiko handeln
    Halt den Ball flach – es ist noch nicht sicher, dass wir den Auftrag bekommen.

    sich ein Eigentor schießen = etwas tun, das einem selbst Nachteile bringt
    Mit dem provozierenden Tweet hat er sich ein Eigentor geschossen.

    nach ihrer/seiner Pfeife tanzen = das tun, was eine andere Person von einem will
    Elisabeth erwartet, dass alle nach ihrer Pfeife tanzen.

    im Abseits stehen = ignoriert werden; keine Chance auf Erfolg haben
    Mit seiner sehr radikalen Position steht er in seiner Partei im Abseits. 

    ein Heimspiel sein = ganz einfach sein
    Die Prüfung war ein Heimspiel für mich, weil ich mich seit Jahren intensiv mit dem Thema beschäftige.

    jemandem reingrätschen = jemanden beim Sprechen stoppen, um selbst etwas zu sagen
    Entschuldige, ich muss dir jetzt mal reingrätschen.

    einen Anpfiff bekommen = Ärger bekommen
    Als er beim Meeting wieder nicht pünktlich war, hat er einen Anpfiff von seiner Chefin bekommen.

    ein Nachspiel haben = negative Konsequenzen haben
    Marion hat bei der Arbeit Netflix geschaut. Das wird für sie ein Nachspiel haben.

    am Ball bleiben = mit einer Sache mit viel Energie weitermachen
    Bei der schwierigen Wohnungssuche in Stuttgart musst du am Ball bleiben.