„Die Gesellschaft hat es ihren Zuwanderern schwer gemacht“

    Schwer
    Deutsch perfekt 4/2018
    Schwarz-Weiß-Bild von Gastarbeitern auf der Baustelle
    © Interfoto/Friedrich Rauch
    Von Barbara Kerbel

    Herr Professor Oltmer, was hat Deutschland der Zuwanderer, -Immigrant Zuwanderern zu bieten?

    Die Bundesrepublik ist aus unterschiedlichen Gründen attraktivhier: so, dass viele dort leben wollenattraktiv. Die Wirtschaftslage ist seit Jahren stabil, es gibt einen der AufschwungVerbesserung der wirtschaftlichen LageAufschwung und freie Arbeitsplätze, vom der/die Hochqualifizierte, -nPerson mit sehr guter Ausbildung und speziellen KenntnissenHochqualifizierten bis zum Dienstleistungsbereich. Dazu gehören auch sehr prekärhier: mit geringer Bezahlungprekäre Beschäftigungsverhältnisse, in denen fast nur Migranten arbeiten. Die Bundesrepublik gilt in Europa und weltweit als ökonomischer und politischer der Stabilitätsanker, -gemeint ist hier: Land, in dem es keine plötzlichen Krisen gibt (der Anker, -: schweres Ding aus Eisen, das an einer Kette vom Schiff auf den Boden gelassen wird, um dieses an seinem Platz zu halten)Stabilitätsanker. Dazu kommt das sehr breit ausgebautugs: hier: so, dass fast alle Bundesbürger Mitglied sindbreit ausgebaute Sozialversicherungssystem.

    Viele der der Gastarbeiter, -Person, die in ein fremdes Land geht, um dort für eine vereinbarte Zeit zu arbeitenGastarbeiter, die seit Ende der 50er-Jahre in die Bundesrepublik kamen, sind geblieben. Trotzdem hat die Politik noch in den 90er-Jahren behauptet, dass die Bundesrepublik kein das Einwanderungsland, -länderLand mit vielen ImmigrantenEinwanderungsland ist. Warum ist das für viele so schwer zu akzeptieren?

    Die Bevölkerung hat über Jahrzehnte, eigentlich über zwei Jahrhunderte hinweg, eine Diskussion über Homogenität geführt. Es gab eine lange, konfliktreiche Debatte um die Nation und um das Volk. Über lange Zeit wurde alles das, was nicht dazuzugehören schien, an den Rand drängenhier: ≈ als unwichtige Sache behandeln; ≈ als unwichtig betrachtenan den Rand gedrängt. Das hat bis heute Folgen für unser Denken: Menschen, die dazukommen, werden als nicht zugehörig empfinden≈ finden, dass sie nicht Teil der deutschen Kultur sindals nicht zugehörig empfunden. Es ist erstaunlichüberraschenderstaunlich, wie stabil diese Vorstellung von Homogenität ist.
     

    Die Debatte ist auf Probleme fokussiert, über Hochqualifizierte wird im Kontext von Migration nicht diskutiert.


    Zugewanderte Sportler haben bei den Olympischen Spielen für Deutschland Medaillen gewonnen, auf deutschen Bühnen tanzen mehr Ausländer als Deutsche. Aber in Debatten über Migration wird vor allem über Probleme gesprochen. Müssen wir unser Verständnis von Migration weiter fassenhier: ≈ neu formulieren; ≈ in neuem Zusammenhang denkenweiter fassen?

    Wir müssen sich kritisch auseinandersetzen mit≈ systematisch studieren; ≈ intensiv nachdenken überuns kritisch mit den der Begriff, -eWortBegriffen sich kritisch auseinandersetzen mit≈ systematisch studieren; ≈ intensiv nachdenken überauseinandersetzen. Migration wird sehr oft dann verwendet, wenn es darum geht, Entwicklungen zu problematisieren. Dagegen wird zum Beispiel von Mobilität gesprochen, wenn es um Bewegungen innerhalb der Europäischen Union geht. Mobilität ist ein sehr positiver Begriff: Hochqualifizierte und Studenten sollen mobil sein, das wird in großem Maß unterstützt. Mobilität ist die räumliche Bewegung von Menschen – es gibt im Prinzip keinen Unterschied zwischen Migration und Mobilität. Aber die Debatte fokussiert sein aufhier: zum zentralen Thema machenist auf Probleme fokussiert sein aufhier: zum zentralen Thema machenfokussiert, über Hochqualifizierte wird im Kontext von Migration nicht diskutiert.

    Ihr Kollege Klaus Bade nannte die 80er-Jahre mit Blick auf die Integrationspolitik ein verlorenes Jahrzehnt. Wie ist Ihre politische Bilanz der letzten 60 Jahre?

    Man kann nicht allgemein sagen, dass die Bundesrepublik die Entwicklung zum Einwanderungsland verschlafenhier: ugs: verpassenverschlafen hat. Aber es war schon Ende der 60er-Jahre klar, dass viele bleiben werden. Trotzdem hat sich durchsetzenhier: von vielen gesehen werdensich die die Erkenntnis, -seplötzliches Erkennen der Verbindung/Beziehung verschiedener DingeErkenntnis erst langsam sich durchsetzenhier: von vielen gesehen werdendurchgesetzt, dass die Zuwanderung das Land verändert. Aber im kommunalen Bereich hat die Integration trotzdem gut funktioniert. Vor allem große Städte, die stark von Zuwanderern geprägtso, dass die Zuwanderer einen starken Effekt habenvon Zuwanderern geprägt waren, haben schon sehr früh das Integrationskonzept, -e≈ IntegrationsprogrammIntegrationskonzepte entwickelt – zu einer Zeit, als auf Landes- und Bundes­ebeneim Bereich der einzelnen Bundesländer und im ganzen Bundesgebietauf Landes- und Bundesebene über so etwas noch gar nicht nachgedacht worden ist. Und das hatte Folgen. Zum Beispiel haben sich viele Zuwanderer in den Kommunen durchausauf jeden Falldurchaus zugehörig gefühlt – aber nicht in Bezug aufhier: in Zusammenhang mitin Bezug auf die Bundesrepublik.
     

    Die bundesdeutsche Gesellschaft hat es ihren Zuwanderern schwer gemacht.


    In manchen Bundesländern mussten in Deutschland geborene Kinder von Gastarbeitern bis in die 90er-Jahre zusätzlichhier: zum normalen Unterricht dazuzusätzlichen Unterricht in ihrer Muttersprache besuchen – damit sie die Sprache können, wenn sie Deutschland verlassen. Man hat ihnen signalisiert, dass sie nur für kurze Zeit hier sind.

    Die bundesdeutsche Gesellschaft hat es ... schwer machen... Probleme machenes ihren Zuwanderern es … schwer machen… Probleme machenschwer gemacht – und die Frage ist, ob es sich dadurch nicht die Gesellschaft insgesamt schwer gemacht hat. Ein Beispiel dafür ist die die Anerkennungvon: anerkennen ≈ hier: von einer offiziellen Institution akzeptiert werdenAnerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen. Erst seit 2012 gibt es mit dem Bundesanerkennungsgesetz eine Regelung, die stärker ausgerichtet sein aufhier: ... zum Ziel habenauf Öffnung ausgerichtet sein aufhier: … zum Ziel habenausgerichtet ist. Bis dahin wurden sehr viele Qualifikationen nicht anerkannt. Dadurch hat die Bundesrepublik sehr viel Potenzial verschenkenhier: nicht nutzenverschenkt.

     

    Professor Oltmer


    Professor Jochen Oltmer ist Historiker an der Universität Osnabrück. Der Professor untersucht die deutsche, europäische und globale Migration vom Ende des 18. Jahrhunderts bis heute.

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